Sendung im SWR Fernsehen zum Thema „Menschenhandel – das Geschäft mit dem Elend“
17.05.2019 22:00
Ort: SWR Fernsehen
Menschenhandel – und das mitten unter uns? Es klingt wie ein Relikt aus dem Mittelalter, doch Millionen Menschen werden just in diesem Moment sexuell ausgebeutet, arbeiten unter unwürdigen Bedingungen in Fabriken oder werden zum Betteln auf die Straße geschickt. Und das nicht nur in fernen Ländern, sondern auch hier bei uns in Deutschland.
Die Opfer wollen der Armut entkommen und sind voller Hoffnung auf ein besseres Leben. Verzweifelte Frauen lassen sich auf vorgetäuschte Stellenangebote und falsche Versprechen ein, werden durch Drohungen und Prügel gefügig gemacht und landen in der Prostitution. Illegal eingeschleuste Männer müssen ihren Pass abgeben und führen ein Leben wie Gefangene. Sie hausen in heruntergekommenen Absteigen, zahlen dafür horrende Mieten und werden als billige Bauarbeiter ausgebeutet.
Menschenhandel ist meist unsichtbar. Kaum einer der Betroffenen wehrt sich gegen das Martyrium. Fast alle sind illegal hier, befürchten die Abschiebung und schweigen aus Angst und Scham. Die Dunkelziffer ist hoch, verlässliche Zahlen gibt es nicht.
Sicher ist: Es ist ein gnadenloses, extrem lukratives und gut organisiertes Geschäft, die Profitspanne beim kriminellen Deal mit der „Ware Mensch“ ist vergleichbar mit dem Drogenhandel. Verzweifelte Menschen, die in ihrer Not nach jedem Strohhalm greifen, werden wie Gebrauchtwagen gehandelt, verkauft und exportiert oder dienen als blutige Ersatzteillager und müssen als Organspender herhalten. Wer zahlt, erhält die Lieferung. Babys werden ihren Müttern entrissen und illegal zur Adoption freigegeben oder Kinder als Soldaten in Krisenherde geschickt.
„Menschenhandel – das Geschäft mit dem Elend“ – das Thema im Nachtcafé.
Was für Sandra Norak* wie eine zarte Liebesromanze begann, endete bitter. Mit 16 geriet die Gymnasiastin in die Fänge eines sogenannten Lover-Boys. Er täuschte der Schülerin die große Liebe vor, zeigte aber schnell sein wahres Gesicht. Tagsüber drückte sie die Schulbank, danach musste das junge Mädchen für ihren Zuhälter anschaffen gehen: „Er gab vor, Schulden zu haben, die er alleine nicht abtragen könne. Ich habe mich für ihn verantwortlich gefühlt.“
Auch Joana Adesuwa Reiterer war jung, als ihre Leidensgeschichte begann. In Nigeria als 14-Jährige von ihrer Familie verstoßen, vertraute sie sich einem Österreicher an. In der Hoffnung auf ein besseres Leben heirateten sie, doch bereits kurz nach der Hochzeit kam die Ernüchterung: „Es stellte sich heraus, dass mehrere Frauen für ihn auf den Strich gingen. Er war gewalttätig.“ Ihre einzige Rettung war ein Frauenhaus.
Manfred Paulus kennt solche schmutzigen Geschäfte aus seiner langjährigen Arbeit. 30 Jahre ermittelte er bei der Kripo Ulm im Rotlichtmilieu und ging auch international gegen Organ- und Kinderhandel vor. Er weiß, warum ausgerechnet Deutschland für die Ausbeutung und Zuführung von Frauen optimale Bedingungen bietet: „Unser Land ist zum Zuhälterparadies geworden“, warnt der Kriminalhauptkommissar a.D. und europaweit gefragte Experte.
Anette Dowideit beschäftigt sich als Journalistin intensiv mit der Ware Mensch. „Menschenhandel beschränkt sich nicht nur auf Prostitution, das Geschäft mit der Armut blüht ebenso in vielen anderen Bereichen.“ Auch auf deutschen Baustellen, in Schlachthöfen, in der Gastronomie, auf Spargelfeldern, in der Altenpflege oder in Nagelstudios gibt es sklavenähnliche Zustände, so die Investigativ-Reporterin, die den Ausbeutungsmodellen auf den Grund geht.
Billigfleisch dank Billiglohn – oft tragen auch die ausbeuterischen Umstände der Arbeiter in der Fleischindustrie dazu bei, damit das Schnitzel günstig auf den Teller kommt. Über eine Leiharbeitsfirma kam die Rumänin Lisa P.2011 zu einem großen deutschen Geflügelschlachter: „Ich bekam 5 Euro die Stunde, habe oft 14 Stunden gearbeitet und hatte 15 Minuten Pause“, berichtet die 44-Jährige, die in Rumänien übers Internet in der Hoffnung auf ein lukratives Job-Angebot nach Deutschland gelockt wurde.
In einem Alter, in dem andere Kinder spielerisch die Welt erkunden, versteckte sich Dan in Schützengräben und schoss mit scharfer Munition. Mit fünf Jahren wurde er gezwungen, für eine paramilitärische Gruppe in den Kampf gegen die Regierung in Uganda zu ziehen. Erst Jahre später gelang es dem Kindersoldaten, der Hölle zu entkommen. Die Erinnerungen bleiben und nagen an der Seele: "Töten und Plündern war der Befehl der Rebellen. Ich hatte keine Kindheit“, so der heute 23-Jährige.
Isabel Hövels wuchs als Adoptivkind in Nordrhein-Westfalen auf. Über ihre Herkunft war ihr nur bekannt, dass sie als Findelkind in einem katholischen Kinderheim in Indien untergebracht war. Als sich die Friseurmeisterin mit 18 auf die Spuren ihrer Wurzeln machte, stieß sie bei den indischen Nonnen auf widersprüchliche Aussagen. Schließlich fand sie ihre leibliche Mutter, die einer Adoption nie zugestimmt hatte: „Ich frage mich, wie vielen anderen Kindern es genauso ergangen ist wie mir.“
*Pseudonym